YOVO YOVO MEMOIRE

Die Kinder in Benin, dem Herkunftsland meines Vaters, riefen mir immer ein Lied hinterher, wenn sie mich auf der Straße sahen. “Yovo Yovo Bonsoir. Ca va bien? Merci!“. Als ich meinen Vater fragte, was Yovo bedeutete, antwortete er: “Es heißt weiß“. Ich war geschockt. Ich wurde als weiß gelesen. Europäisch. Privilegiert. Fremd. Wieder war ich anders. Wieder nicht zugehörig. Meine erste Reise nach Benin, dem Heimatland meines Vaters, im Jahr 2016 war überwältigend und hallt bis heute nach. Ich wurde überflutet von Informationen, Eindrücken und Gefühlen die ich weder einordnen, noch kognitiv verarbeiten konnte. Und dennoch: Mein Körper erinnerte sich an diesen Ort, an dem er in dieser Form noch nie war. Die Erinnerung war emotional, körperlich und spirituell. Ich verstand die Tänze und Melodien, Rhythmen und Sounds. Ich stand in Verbindung mit der Erde unter meinen Füssen. Alles war fremd und zugleich tief vertraut. Durch die Teilnahme an den Ritualen des Vodoun verstärkten sich diese Gefühle. Es war befremdlich und zugänglich, erdend und transzendierend. 

“Das ist deine Kultur, du hast ein Recht darauf“ waren die Worte meines Vaters als er mich das erste mal Mitnahm zu den Zeremonien um mir die Brauchtümer, Tänze, Gesänge und Rituale näher zu bringen. Aber wie rechtfertigt sich die Zugehörigkeit und der Besitzanspruch einer Kultur und wie manifestiert sich dieser im Körper? Durch Herkunft? Durch Konditionierung und Sozialisierung? Durch Verkörperung? Oder durch emotionale und spirituelle Resonanz?

YOVO YOVO MEMOIRÉ ist eine interdisziplinäre Recherche, innerhalb derer sich die afro-deutsche Künstler*in ZOE in Kollaboration mit der afro-amerikanisch-deutschen Künstler*in Sophie Yukiko dem Spannungsfeld und Intersektion kultureller Praxen Schwarzer Communities und ihren Ursprüngen widmen. 

Dabei stehen die Fragen danach, wie sich kulturelle Erfahrungen und Geschichten in Körpern und Verhalten verankert und sich in künstlerischen Ausdrucksformen sowie in sozialen und spirituellen Interaktionen fortsetzen, im Zentrum der Recherche.  Ausgangspunkt ist eine Auseinandersetzung mit der kulturellen Praxis der Fon, einer Bevölkerungsgruppe Benins (ehemals Königreich Dahomey) sowie der Überlieferung der Fon Kultur im Kontext des transatlantischen Sklavenhandels oder auch MAAFA, in die Diaspora. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf der spirituellen und kulturellen Praxis des Vodoun, dem nachweislich ältesten Glaubenssystems in Benin. In zweiten Teil steht der Dialog mit der Diaspora im Fokus durch eine Reise nach New Orleans, einer Hochburg für Performance Art, Musik und Vodoun, so wie dem Austausch und Interventionen mit Künstler*innen und Expert*innen, die in ihrer Arbeit eine dekoloniale Perspektive auf  Schwarze Kultur einnehmen.

Zu letzt widmen wir uns der Evaluierung unserer Erfahrungen und der Frage wie sich das Schwarze kulturelle Erbe in Deutschland fortsetzt. Im Anschluss an das Projekt steht eine Bühnenproduktion mit dem Titel MAWU LISA, unter der Künstlerischen Leitung von ZOE sowie der Dramaturgie von Sophie Yukiko, ko-produziert durch das tanzhaus NRW im Herbst 2025. Die Recherche Ergebnisse bilden hierfür eine direkte Grundlage. Durch die Arbeit soll die Transformation und Kontinuität west-afrikanischer kultureller Praktiken wie Vodoun von den Ursprüngen bis in die Diaspora, zwischen Heterogenisierung und Tradition, nachvollzogen werden.

Ziel ist es, ein tieferes Verständnis für die Geschichte und Formen Afro-Diasporischer Kunst und Kultur zu erlangen und die kulturelle sowie die spirituelle Schnittmengen herauszuarbeiten. Für nicht-akademisierte Kunstformen, die aus Schwarzer Kultur entstanden sind und Akteur*innen aus dem entsprechenden Feld, sollen die Recherche Ergebnisse ein Archiv für den deutschsprachigen Raum bilden und so ihre Position im zeitgenössischen Kunstkanon stärken.